... il catalogo è
questo
Es gibt bei
den meisten Online-Katalogen zwei verschiedene Zugänge: erstens
über
die Register und zweitens über Suchbefehle. Der
zweite
wird weithin als der direktere, der erste oft als ein Umweg empfunden, wird deswegen kaum genutzt
oder
ist gleich gar nicht vorhanden. Solche Einschätzungen gehen an den
Tatsachen vorbei. Ein guter Katalog muss beide Zugangsarten anbieten.
Dazu eine
grundsätzliche
Bemerkung: Ein wirkliches "Suchen" im Sinne der Umgangssprache
findet
in Datenbanken (Katalogen wie Suchmaschinen) nie statt, sondern
es handelt sich um ein mechanisches (algorithmisches) Abgleichen
von Buchstabenfolgen - das hat nichts mit Bedeutung oder Sinn der
eingetippten
Wörter zu tun, schon gar nichts mit der Intention des Nutzers.
"Suchen",
"Anfrage", "Treffer" u.a. sind in diesem Sinne zweischneidige
Metaphern,
denn sie verleiten zu falschen Annahmen. Grob irreführend
wäre
es, eine Ergebnismenge als "nach Relevanz geordnet" zu bezeichnen,
dabei
aber nicht zu erklären, was mit "Relevanz" gemeint ist!
Don-Giovanni-Katalog :
"Erfolgsmenschen
nutzen Register"
Die Registerarie
("Madamina,
il catalogo è questo") im ersten Akt von Mozarts Don Giovanni,
gesungen vom Diener Leporello, beschreibt das erste bekannte Beispiel
einer
Datenbank mit Register. Leporello entfaltet einen Ausdruck des
Namensregisters auf gefaltetem Endlospapier, wie es typisch war
für die seinerzeitige Offline-Technik. Don Giovanni selbst bringt
in der Champagner-Arie
zum Ausdruck, dass diese Datenbank für seinen Erfolg sehr wichtig
ist: er ist zuversichtlich, am Morgen nach dem Fest zehn neue
Einträge
einfügen zu können...
Register sind zum
Blättern
da. Zwanglos findet man, was man gesucht hatte, aber auch, an was man
nicht
gedacht hatte und auf was man nicht gekommen wäre:
-
Register zeigen, was da
ist und
was nicht da ist (auch das zweite kann hilfreich sein)
-
Sie setzen keine exakte
Kenntnis
voraus (meistens genügen wenige Buchstaben)
-
Schreibvarianten stehen
oft nah
beieinander (Rechtschreibreform! z.B. "Bibliografie" neben
"Bibliographie")
- Es wird sichtbar,
DASS Singular und Plural sowie andere Flexionsformen existieren
-
Browsing fördert
Zufallsentdeckungen
("Serendipity")
-
Kein
"Null-Treffer-Problem" -
man wird zwanglos auf andere Möglichkeiten hingewiesen
-
Eingabefehler werden
zwanglos
entdeckt
Freischütz-Katalog : "Faszination
der Freikugel: Treffen ohne Zielen"
Jungschütze Max in
Webers
Oper Der Freischütz erliegt der Versuchung, sich der
Schwarzen
Magie anzuvertrauen, um das Ziel beim Probeschuss garantiert zu
treffen.
Genauso mss man bei den meisten Datenbanken einer Technik vertrauen,
die
man nicht durchschaut. Dennoch gehen viele davon aus, dass sie damit
das
Richtige treffen.
Meistens sieht man eine
Eingabezeile
oder ein -formular. Dahinter steckt aber immer eine Befehlssprache, die
früher direkt verwendet werden msste. Oft kann die Befehlssprache
mehr als das Eingabeformular, doch wird dies selten vermittelt, oder es
kommt nicht an. Vermeintlich höherer Komfort wird also
erkauft
mit weniger Leistung.
-
Trunkierung wichtigstes
Werkzeug!
Hinweis darauf manchmal kaum zu finden...
-
Logische Kombinationen
verlangen
Durchblick (werden relativ selten korrekt genutzt)
-
Man sieht nicht, was
man verpaßt
hat - Problem abweichender Schreibungen und Flexionen wird nicht
bewsst.
-
Null-Treffer-Problem
(Was tun,
wenn "Leider kein Treffer!" kommt?)
-
20-Treffer-Problem
(wird nicht
als Problem erkannt! Man denkt, die relevanten Dinge seien alle
gefunden.)
-
1000-Treffer-Problem :
Einschränkung
kann auch Wichtiges eliminieren
-
Größe des
Katalogs
und damit des Bestands nicht sinnlich erfahrbar
-
Eingabefehler werden
nicht entdeckt,
betroffene Daten nicht gefunden.
Dulcamara-Katalog : "Hauptsache,
man fühlt sich gut"
Landmann
Nemorino
kauft vom Alchimisten Dulcamara eine Flasche Elisir d'amore,
dessen
Konsum (durch ihn selber, wohlgemerkt) ihn mit der angebeteten
(reichen)
Adina zusammenbringen soll. Zwar ist es nur ein Rotwein-Verschnitt,
aber
durch Zufälle stellt sich der Erfolg dann doch ein. Da es leicht
fällt,
zu glauben, was angenehm ist, wird Dulcamara zum Helden des Tages und
macht
glänzende Geschäfte mit seinem Elixir. Gaetano Donizetti hat
mit dem Belcanto-Feuerwerk dieser Oper dem menschlichen Aberglauben ein
klingendes Denkmal gesetzt.
Die Rede ist hier von
"Virtuellen
Katalogen", also solchen, die gar keine sind - sie heißen aber so
und jeder nimmt's gern für bare Münze. Es sind quasi
Freischütz-Kataloge
zum Quadrat, denn die Schwächen und Eigenheiten der automatisch
abgefragten
einzelnen Kataloge multiplizieren sich. Der Dulcamara-Katalog bietet, unvermeidlich,
nur einen undefinierbaren Verschnitt der automatisch abgefragten
Einzelkataloge.
Eine Registeranzeige gibt es nicht, weil dies sehr viel schwieriger zu
entwickeln wäre als ein paralleler Abfrage-Zugang. Dabei
wären
ineinandergemischte Register wegen der Differenzen zwischen den
Katalogen
gerade für virtuelle Kataloge besonders hilfreich, das ist aber
pure
Utopie. Selbstverständlich kommt es auf die Art der Frage an, ob
die
Ergebnisse als Erfolg gewertet werden können oder ob Vorsicht
geboten
ist. Erfolge sind nicht ausgeschlossen, ein paar Kenntnisse helfen
sehr,
aber Mißerfolge sind schwierig zu erkennen - irgendwas kommt ja
meistens
raus (20-Treffer-Problem!). Und so fühlen sich vermutlich (aber
Genaueres
müßte eine Untersuchung erst erweisen) viele Ahnungslose (wie
Nemorino)
bei der Nutzung virtueller Kataloge recht gut. Aber was wirklich
vorgeht,
und was ihnen entgeht,
das sehen sie noch weniger als bei
gewöhnlichen
Freischütz-Katalogen. Besonders die Schlagwortsuche dürfte in
virtuellen Katalogen darunter leiden, dass die einzelnen Kataloge nicht
einheitlich sind und dass sie alle keine komplette Abdeckung erreichen.
Schlagwortkataloge sind aber ein Thema für sich.
Damit kein
Mißverständnis
aufkommt: die Entwickler von Dulcamara-Katalogen sind keine
Quacksalber,
ihre Leistungen sind unbestreitbar lobenswert, die Problematik ihrer
Produkte
haben sie nicht selber zu verantworten. Sie könnten nur hier und
da
die Nutzer ein wenig mehr über die Problematik aufklären.
OPAC-Untersuchungen deuteten
stark darauf hin, dass Benutzer von einer vermehrten
Inanspruchnahme
der Register sehr profitieren könnten. Die Betrachtung der
eingegebenen
Suchfragen ließ erkennen, dass die Ergebnisse in sehr vielen
Fällen
nicht optimal gewesen sein können. Nutzer setzen nämlich
viel zu selten die Trunkierung ein und geben zu schnell auf, d.h. sind
mit der ersten Trefferliste schon zufrieden und machen auch bei
negativem Ergebnis oftmals keine weiteren Versuche.
Zettelkataloge hatten auch keine Register, mag man einwenden. Aber sie
waren in sich alphabetisch geordnet, man sah dadurch zwangsläufig,
was an der Einstiegsstelle davor und dahinter stand und kam ohne ganz
präzise Kenntnis eines Namens oftmals an die richtige Stelle, ohne
ein Problem zu bemerken. Eine Freischütz-Datenbank entspricht
einem Zettelkatalog, den man indirekt benutzt: man sagt einem
Bediensteten: "Bring mir alles was unter 'Fellner, Dietrich' steht!"
Und er kommt zurück und sagt: "Da steht nix". Stimmt, aber unter
'Fellner, Dieter' und unter 'Fellner, Wolf Dietrich' steht was, das
hätte man sofort gesehen, im Zettelkatalog wie auch in einem
Register. (Dieser Fall ist nicht erfunden.)
Der Freischütz-Zugang
kommt aus der Vorstellungswelt der relationalen Datenbanken, die "von
Natur
aus" keine Register zum Blättern haben. Sie erfordern deshalb viel
zusätzliche Programmierung, will man Register einrichten, weshalb
Entwickler gern zu der Ansicht neigen, man brauche keine Register.
Bibliotheken
als Auftraggeber sollten das keinesfalls akzeptieren, sondern die
Forderung
nach Registern in jedem Pflichtenheft als K.O.-Kriterium hervorheben.
Mehr
zu den Problemen der relationalen Datenbanken wird in einer vergleichenden
Übersicht dargestellt.
Datenbankleute
(Programmierer)
haben die Vorstellung, die Daten seien konsistent (ordentlich
und
normiert) und die Nutzer wüßten meistens genau, nach was sie
fragen
müssen. Aus vielen Gründen sind Bibliothekskataloge und ihre
Nutzer davon weit entfernt. Zumal wenn die Daten aus verschiedenen
Quellen
und Zeitepochen kommen: jede Regeldifferenz erhöht die
Inkonsistenz.
Erschwerend hinzu kommen die Effekte der Rechtschreibreform.
Wir haben schon jetzt ein beträchtiches Maß an Inkonsistenz
in unseren Datenbanken, und jede Regelwerksänderung (Katalog- oder Rechtschreibregeln gleichermaßen) wird dieses
Problem
unausweichlich verschärfen.
Andere Web-Datenbanken (fast
immer beruhen sie auf SQL), selbst Wörterbücher, haben viel
zu
oft nichts als eine Eingabezeile oder eine Abfragemaske, keinen
Registerzugang.
dass die benutzungsfreundlichen Qualitäten, die man mit Registern
erzielen kann, noch immer weitgehend unentdeckt sind, gehört zu
den
ganz großen Rätseln der Web-Szene. Eine mögliche
Erklärung
ist, dass das Interpretieren und Durchschauen einer alphabetisch
geordneten
Liste eine Kulturtechnik ist, die nirgends gelernt und von wenigen
beherrscht
wird (obwohl jeder dann und wann ein Telefonbuch benutzt). Es wird wohl
als anstrengender empfunden als das Einwerfen von einem oder zwei
Wörtern
in ein Eingabefeld - denn was könnte einfacher sein?
Soll
die Maschine doch das Denken übernehmen. Aber es ist immer ein
Schss
ins Dunkle...
Eine tiefer greifende
Erklärung:
Das Gehen des vermeintlich einfachsten Weges, das Prinzip des
geringsten
Aufwands zur Lösung einer Aufgabe ist ein Grundprinzip alles
Lebendigen,
weil oft von Vorteil im Überlebenskampf. Nur: Manchmal ist ein
etwas
komplizierterer Weg doch der bessere (sonst wäre das Denken als
die
komplizierteste Leistung der Natur gar nicht erst entstanden), und das
Durchschauen der Vor- und Nachteile verschiedener Wege und das Erkennen
von Irrwegen und Selbsttäuschungen war noch nie so
schwierig.
Der Verzicht auf das eigene Können und Denken (Devise: "Don't make
me think!") ist aber eine geradezu verhängnisvolle Konsequenz des
Drangs zum einfachsten Weg (siehe Freischütz) bzw., schlimmer
noch,
der bekanntlich auch heute noch weitverbreiteten Neigung zum
Aberglauben.
Unabhängig davon, und
nützlich für beide Zugänge (und davon profitieren dann
auch
die Dulcamara-Kataloge), braucht man Regeln für das Generieren der
Zugriffsregister: wie sollen die Umlaute verarbeitet werden, was soll
mit
Bindestrichen und anderen Zeichen geschehen, etc. (Auch bei Katalogen
ohne
Don-Giovanni-Zugang stecken immer Register dahinter, manchmal sind sie
zwar technisch so gestaltet (z.B. in relationalen Datenbanken), dass
sie
nicht als alphabetische Folge gezeigt werden können, die
Richtlinien
braucht man aber trotzdem oder gerade deswegen.) Eine Arbeitsgruppe der
früheren Konferenz für Regelwerksfragen hat Empfehlungen
für Stichwort- und Stringregister ausgearbeitet.
Am Rande:
In der Einleitung wurde auf
die Problematik gewisser metaphorischer Bezeichnungen hingewiesen, wie
"Suchen", "Treffer" und "Relevanz". Mehr zu dem Thema in einem Papier "Wie
sagt man's dem Benutzer?"
B. Eversberg,
UB Braunschweig 2002-08-26 / 2004-05-31.